ALLE Sachsen – Antisemitismus entgegentreten, Lernportal für Lehrkräfte und Engagierte
Aussagen und Inhalte, die zum Nachdenken anregen
„Antisemitismus ist ein Gift, das sich in der Gesellschaft ausbreitet, und wir müssen alle gemeinsam dagegen angehen.”
Analyse von Vorfällen im Kontext von Schule
Kommentar im Unterricht
Situation: Eine Mutter wendet sich an die Beratungsstelle OFEK in Sachsen, nachdem ihre Tochter (7. Klasse) im Unterricht zum Nationalsozialismus abfällige Kommentare ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler erlebt hatte. Diese wurden von Kichern und Lachen begleitet, während die anwesende Lehrerin nach Angaben der Schülerin nicht reagierte. Bereits zuvor war es im Unterricht zu positiven Bezügen auf den Nationalsozialismus sowie zu verhöhnenden Kommentaren gegenüber Jüdinnen und Juden und weiteren Gruppen gekommen.
Die Schülerin dokumentierte den Vorfall und sprach anschließend die Lehrerin darauf an, die jedoch keinen Handlungsbedarf sah. Auch die Eltern wandten sich an die Lehrerin und später an die Schulleitung. Beide verneinten, in den protokollierten Kommentaren antisemitische Inhalte erkennen zu können, und bewerteten das Verhalten der Schülerinnen und Schüler als jugendtypische Provokation ohne antisemitische Konnotation.
Da die Kommentare und das begleitende Lachen als Verhöhnung der Opfer und ihrer Nachkommen verstanden werden können und die Schule laut Schilderung der Betroffenen darauf nicht reagierte, blieb die Wirkung des Vorfalls für die Schülerin bestehen. Sie fühlte sich zunehmend unwohl in der Klasse und äußerte Zweifel an ihrem Vertrauen in die schulische Umgebung – nicht nur gegenüber den Mitschülerinnen und Mitschülern, sondern auch gegenüber der Lehrkraft und der Schulleitung.
Eine Schülerin der 7. Klasse erlebt im Kontext des Unterrichts zum Nationalsozialismus abfällige Kommentare von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. Diese Kommentare sind von Lachen und Kichern begleitet und können als Verhöhnung der Opfer verstanden werden.
Sowohl die Lehrkraft als auch die Schulleitung erkennen den antisemitischen Gehalt und die Wirkung der Vorfälle für die Schülerin und ihre Familie nicht an. Damit bleibt das erlebte und dokumentierte Verhalten der Mitschülerinnen und Mitschüler und das Erlebte für die Familie nicht validiert.
- Gefühl der Ohnmacht und fehlender Anerkennung ihrer Erfahrung und Wahrnehmung der Situation.
- Misstrauen gegenüber Schule, die sie nicht schützen kann vor der Gewalterfahrung
- Zunehmendes Unwohlsein in der Klassengemeinschaft
- Anhaltende Bedrohung durch ausgebliebene Intervention
- Antisemitismus äußert sich nicht nur in offenen Beleidigungen, sondern auch in Spott, Witzen und der Verhöhnung von Opfern.
- Die Nichtanerkennung seitens der Institution verstärkt die Belastung.
- Die Schule muss ihre Schutz- und Bildungsaufgabe wahrnehmen und Betroffene schützen.
Rempelei auf dem Schulhof
Ein Schüler, der in der Klasse offen über seine jüdische Herkunft gesprochen hat, wird in der Pause von mehreren Mitschülern angerempelt und geschubst. Dabei fällt sein Rucksack zu Boden. Einer der Angreifer ruft: „Geh doch nach Israel!“ Die Lehrkraft, die in der Nähe steht, greift nicht ein. Erst nachdem der Schüler sich beschwert, wird ein Gespräch angekündigt, findet jedoch nicht statt.
Ein Schüler wird auf dem Schulhof von Mitschülern geschubst und beleidigt, nachdem er über seine jüdische Herkunft gesprochen hat. Einer der Angreifer ruft: „Geh doch nach Israel!“
Die Lehrkraft greift nicht ein, obwohl sie in unmittelbarer Nähe steht. Nach einer Beschwerde des Schülers wird ein Gespräch angekündigt, das jedoch nie stattfindet. Der Vorfall wird beiläufig als „Konflikt unter Schülern“ eingeordnet und nicht als antisemitisch motivierter Vorfall. Die Wirkung dieser Situation auf den Schüler wird nicht reflektiert.
- Erfahrung eines antisemitischen Angriffs
- Gefühl der Unsicherheit und Isolation im schulischen Raum
- Zweifel am Schutz durch Lehrkräfte und Schulleitung
- Rückzug aus sozialen Situationen und Angst vor weiteren Angriffen
- Antisemitische Gewalt tritt häufig im Zusammenspiel von verbaler und physischer Aggression auf.
- Das Ausbleiben einer klaren Reaktion signalisiert Toleranz gegenüber antisemitischem Verhalten.
- Die Schule muss ihre Aufgabe wahrnehmen, antisemitische Angriffe zu erkennen und Betroffene zu schützen.
- Sofortige Reaktion und Benennung: Vorfall ernst nehmen und klar benennen
- Validierung der Betroffenenperspektive: „Was dir passiert ist, war nicht in Ordnung und nicht deine Schuld.“
- Eltern informieren: Den Vorfall transparent schildern, Maßnahmen erläutern und Vertrauen wiederherstellen.
- Sofortige Intervention und Thematisierung im Klassenverband: Aufarbeitung des Vorfalls unter Anleitung einer pädagogischen Fachkraft oder externen Unterstützung
- Schulinterne Weiterbildung zum Umgang mit Antisemitismus und diskriminierender Gewalt.
- Bei Bedarf Beratung durch OFEK, Antidiskriminierungsstelle oder Polizei.
Nachts auf der Klassenfahrt
Während einer Klassenfahrt wird einem Schüler im Schlaf der Davidstern, den er tagsüber getragen hat, mit einem Filzstift ins Gesicht gezeichnet. Andere lachen und machen Fotos. Die Lehrkraft erfährt davon, bezeichnet den Vorfall als „dummen Jungenstreich“ und spricht keine weiteren Konsequenzen aus. Der Schüler fühlt sich bloßgestellt und zieht sich zunehmend zurück.
Während einer Klassenfahrt wird einem Schüler im Schlaf der Davidstern, den er tagsüber als Kette getragen hat, mit einem Filzstift ins Gesicht gezeichnet. Andere Schülerinnen und Schüler lachen, machen Fotos und verbreiten diese.
Die Lehrkraft stuft den Vorfall als „dummen Jungenstreich“ ein und verzichtet auf weitere Konsequenzen oder pädagogische Aufarbeitung. Es erfolgt keine Benennung des antisemitischen Hintergrunds und keine Unterstützung des betroffenen Schülers.
- Demütigung und Bloßstellung vor der Klassengemeinschaft
- Rückzug und Vermeidung sozialer Situationen
- Verlust des Vertrauens in Lehrkräfte als Schutz- und Bezugspersonen
- Anhaltendes Scham- und Unsicherheitsgefühl gegenüber Mitschülerinnen und Mitschüler
- Die Herabwürdigung eines religiösen Symbols stellt eine Form antisemitischer Gewalt dar, unabhängig von der Intention der Täter.
- Die Einordnung als „Streich“ verharmlost die Handlung und reproduziert strukturelle Blindheit gegenüber Antisemitismus.
- Das Fehlen einer klaren Intervention verhindert eine notwendige pädagogische Auseinandersetzung und signalisiert mangelnden Schutz für Betroffene.
- Die Schule verfehlt hier ihre Aufgabe, antisemitische Handlungen als Gewalt zu erkennen und ihnen konsequent entgegenzutreten.
- Sofortige Reaktion: Die Lehrkraft oder Schulleitung muss den Vorfall als antisemitische Handlung anerkennen und dies auch so kommunizieren. Es ist kein „Streich“, sondern eine gezielte Herabwürdigung.
Gespräch mit dem betroffenen Schüler: In geschütztem Rahmen, mit einer vertrauten Person oder Schulsozialarbeit. Ziel: Sicherheit, Entlastung, Validierung – dabei wichtig die Trennung von Tat- und Opfergespräch zu vollziehen. - Eltern informieren: Transparent und empathisch, mit klarer Benennung der Handlung und des weiteren Vorgehens.
- Sofortige Sicherung von Beweisen: Fotos, Chatverläufe oder Aussagen sichern – ggf. mit Unterstützung der Schulsozialarbeit.
- Pädagogische und organisationale Maßnahmen initiieren: je nach Schwere – Klassenkonferenz, schriftliche Verwarnung, temporäre Suspendierung, Teilnahme an Bildungsmaßnahmen.
- Vertrauensperson einberufen: Einrichtung einer festen Ansprechperson (z. B. Schulsozialarbeiter oder Schulsozialarbeiterin, Vertrauenslehrkraft).
- Multiprofessionelle Intervention einsetzen: Einbeziehung von anderen Verantwortlichen wie der Schulpsychologie und/oder Schulsozialarbeit
- Psychosoziale Unterstützung anbieten: Vermittlung an Beratungsstellen (z. B. OFEK e. V., Schulpsychologischer Dienst).
- Sicheren Raum schaffen: ggf. organisatorische Anpassungen (z. B. Sitzordnung, Gruppenaufteilung).
- Thematisierung im Kollegium: Reflexion über eigene Wahrnehmung („Warum wurde das als Streich eingeordnet?“); Fortbildung
- Wichtig: Nicht den betroffenen Schüler zentrieren oder befragen – Fokus auf Verantwortung der Gruppe.
- Dokumentation: Schriftliche Erfassung des Vorfalls, der Reaktionen und Maßnahmen; evtl. Meldung an die Schulaufsicht; Kooperation mit Fachstellen
Aussage nach dem 7. Oktober 2023
Einige Tage nach dem 7. Oktober hört eine Grundschülerin, wie Mitschülerinnen sagen: „Endlich schaffen wir die Juden ab.“ Die Schülerin erzählt den Vorfall zu Hause ihren Eltern. Diese wenden sich an die Schule und schildern, dass der 7. Oktober für ihre Familie ein einschneidendes und traumatisches Ereignis war. Sie berichten, dass ihr Kind durch das schulische Klima und mehrere ähnliche Vorfälle zusätzlich belastet wird. Trotz des Gesprächs nehmen die Eltern in den darauffolgenden Wochen keine spürbaren Veränderungen im schulischen Umgang mit dem Thema wahr. Die Schülerin erfährt durch die antisemitische Äußerung eine anhaltende Belastung. Sie fühlt sich verunsichert und in der Schule weniger sicher. Das Vertrauen in den Schutzraum Schule wird erschüttert.
Einige Tage nach dem 7. Oktober hört eine Grundschülerin, wie Mitschülerinnen sagen: „Endlich schaffen wir die Juden ab.“ Die Schülerin erzählt den Vorfall ihren Eltern, die sich daraufhin an die Schule wenden. Sie schildern, dass der 7. Oktober für ihre Familie ein einschneidendes und traumatisches Ereignis war und dass das Kind durch das schulische Klima und wiederholte antisemitische Bemerkungen zusätzlich belastet wird. Die Aussage wird von der Familie mit Verdacht auf Volksverhetzung eingestuft. Die Schule scheint diese Einordnung ignoriert zu haben.
Die Schule hört die Eltern an, zeigt sich aber zurückhaltend in der Bewertung des Vorfalls. Eine klare Positionierung gegen die antisemitischen Aussagen oder sichtbare Maßnahmen zur Unterstützung des betroffenen Kindes bleiben aus. Die Eltern nehmen keine wesentlichen Veränderungen im Umgang mit dem Thema wahr.
- Invalidierung der Wirkung des 7. Oktober
- Erleben von Ohnmacht und fehlender Anerkennung der Bedrohungssituation
- Gefühl, dass antisemitische Gewalt im schulischen Raum geduldet wird
- Verstärkung von Angst und Rückzugstendenzen der Schülerin
- Vertrauensverlust gegenüber der Schule als Schutz- und Lernort
- Antisemitische Äußerungen im Kontext aktueller Ereignisse verweisen auf tief verwurzelte Feindbilder, die sich in schulischen Räumen reproduzieren.
- Die fehlende Benennung und Bearbeitung durch die Schule lassen den Eindruck entstehen, antisemitische Aussagen seien tolerierbar.
- Das Ausbleiben von Unterstützung/Reaktion verschärft die Belastung für Betroffene und ihre Familien und verhindert sie an der Teilhabe an Bildung.
- Schulen tragen die Verantwortung, auf antisemitische Sprachhandlungen, insbesondere im Zusammenhang mit traumatisierenden Ereignissen des 7. Oktober, sensibel, empathisch und vor allem eindeutig zu reagieren.
- Ernstnehmen und dokumentieren: Vorfall sofort schriftlich festhalten (Zeit, Ort, Wortlaut, Zeugenaussagen).
- Betroffenen schützen: Gespräche mit dem betroffenen Kind und den Eltern; kurzfristige Schutzmaßnahmen (Aufsicht, Sitzplatz, Begleitung).
- Sichtbare Haltung: klare Distanzierung gegenüber der Aussage
- Intervention: Pädagogische Maßnahmen (Konsequenzen, Aufklärung, Reflexionsangebote), hier ggf. in Absprache mit Jugendhilfe/Eltern.
- Anzeige erwägen: Bei eindeutiger Verhetzung/Bedrohung sollten Schulleitung/Eltern die Möglichkeit einer Anzeige bei der Polizei prüfen; die Schule sollte eng mit Beratungsstellen (z. B. OFEK) oder der Staatsanwaltschaft/Polizei zusammenarbeiten.
- Aufarbeitung: Unterrichtliche/klassenbezogene Auseinandersetzung mit Antisemitismus
- Viele der beschriebenen Handlungen können objektiv Straftaten darstellen – etwa Beleidigung, Körperverletzung oder Volksverhetzung.
- Bei Kindern und Jugendlichen steht jedoch die erzieherische Reaktion im Vordergrund.
- Für Schulen bedeutet das: das Strafrecht ernst nehmen, wenn Grenzen überschritten werden und Schutz notwendig ist.
- Die rechtliche Bewertung entbindet Schulen nicht von ihrer Aufgabe, Haltung zu zeigen und antisemitische Gewalt als Bildungsanlass zu verstehen. Ziel ist nicht allein die Sanktion, sondern Aufarbeitung, Einsicht und Prävention.
Ein Portal, für Alle
Förderung von Bildung und Dialog
Wir bieten eine Plattform mit Angeboten, die Bildung im Themenfeld ermöglichen und den Dialog fördern.
Diskriminierung verhindern
Durch Schulungen und Materialien wollen wir antisemitische Stereotype bekämpfen und eine respektvolle Haltung fördern.
Aufklären und sensibilisieren
Das Portal bietet Infos zur Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus, um Vorurteile abzubauen.
Das Portal alle-sachsen.de wird vom Landesamt für Schule und Bildung verantwortet und mit Unterstützung von Fachnetzwerk gegen Antisemitismus, Ariowitschhaus Leipzig, der Amadeu Antonio Stiftung, OFEK e.V., dem Beauftragten der Sächsischen Staatsregierung für das Jüdische Leben und der Agentur Feuerpanda GmbH unterhalten. Diese Maßnahme wird durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts finanziert.